Ein unglaublich dicht geschriebenes Buch über das Erwachsenwerden.
Viele Menschen sind der Meinung, zu besonderen Taten geboren zu sein - so auch die Hauptfigur dieses Romans, Hagen Seelhorst, der dies von seinen Eltern eingetrichtert bekam und verinnerlicht hat. Der Roman schildert sein Leben von der Kindheit bis zum Alter von etwa Mitte Dreißig.
Hagen wächst in "der modernsten Stadt der Welt" (Böblinger werden dieses Buch hassen ;-) ) auf, wo er anfangs in der Schule durch seine Wortgewandtheit eine Vorreiterrolle einnehmen kann. Dies endet schnell, als erste Taten zu erbringen sind - Hagen scheitert am Wagnis des Sprungs vom Zehnmeterturm und verliert sich fortan unter den eher uninteressanten Klassenkameraden. Ein Umzug nach Hamburg führt ihn in eine mehr mondäne Welt ein, die ihm anfangs verschlossen bleibt, da seine Eltern nicht über das nötige Kleingeld verfügen. Inzwischen hinsichtlich seiner Erwartung einer Vorreiterrolle deutlich gelassener, wurschtelt er sich durch diverse Stationen, mal mehr oder weniger erfolgreich, immer auf der Suche nach einer Position im Leben, mit der er selbst zufrieden sein könnte.
Ein aus vielen Gründen faszinierendes Buch. Man könnte die Sprache ausführen, die der Autor meisterhaft beherrscht, er wechselt zwischen größerer, ironischer Distanz zu seiner Hauptfigur und einer sehr dichten Berichterstattung, indem er Hagens Gedanken direkt wiedergibt - das ist häufig wirr und/oder schwülstig, wird dem Leser aber mit derartiger Wucht um die Ohren gehauen, dass auch schon alles egal ist. Neben der Sprache ist die Entwicklung seines Helden gekonnt geschildert, die in der Kindheit fast existenzbedrohenden, aus Erwachsenensicht eher lächerlichen Probleme werden packend dargestellt, ebenso die mit dem Älterwerden wechselnde Sicht auf das Leben. Hagen gerät in einige Extremsituationen, in einer begeht er fast einen Mord - auch das ist nachvollziehbar und dicht geschrieben. Zuletzt seien die vielen, überaus schillernden und eigenartigen Nebenfiguren erwähnt, wie Hagens Vater, der die fixe Idee entwickelt, den angeblichen Familienstammsitz in der DDR wiederzuerwerben, oder sein Onkel, ein lebenslustiger, lauter Mensch, dessen Präsenz anfangs alle in den Bann zieht (und der es beispielsweise schafft, den Tod seiner Mutter einfach ungeschehen zu machen, indem er sich weigert, daran zu glauben - eine ungeheure Szene in diesem Buch), der jedoch mit zunehmendem Alter deutlich an Kraft verliert, und viele weitere.
Kurz, ein Buch, wie es selten eines gibt!
Michael Kleeberg - Proteus der Pilger
dtv, 2003
ISBN 3-423-13034-2
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